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Wörter und Zahlen
Das Alphabet als Code
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Springer Wien New York 2000
Sonderausgabe: springer / komet 2001
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Grafisches Konzept:
Ecke Bonk
Grafik: Richard Ferkl, Asia Sumyk
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Essayistische
Studie zur Schriftkultur, zu Codes, zu Präzision, zu Wahrnehmung,
zu einem 'berechnenden' Denken.
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Hebräisch, Arabisch, Persisch
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Für Michel
Foucault hat die babylonische Sprachverwirrung "jene Ähnlichkeit
mit den Dingen ausgelöscht", die erster Daseinsgrund von Sprache
gewesen ist. Bis dahin war sie "ein absolut sicheres und wahres
Zeichen der Dinge". "Alle Sprachen, die wir kennen, sprechen
wir jetzt nur auf dem Hintergrund der verlorenen Ähnlichkeit
und in dem Raum, den sie leergelassen hat. Es gibt nur eine
Sprache" - das Hebräische -, "die die Erinnerung daran nicht
verloren hat, weil sie direkt vom ersten, jetzt vergessenen
Wortschatz sich ableitet."1 Auch wenn dies mangels historischer
Relevanz primär auf die Texttradition anspielt, lenkt es den
Blick auf jene Sprache, für die, neben Latein und Griechisch,
auch unabhängig von religiösen Bindungen über Jahrtausende ein
Interesse aufrechtgeblieben ist, als Sprache der alten Texte,
die nur noch für die religiöse Praxis gebraucht wurde. Kulturell
spürbarer blieb sie, wenn auch eher im verborgenen, als Sprache
des Ritus und der Flucht. Newton hat Hebräisch gelernt, Heidegger
über rudimentäre Kenntnisse verfügt, Paul Celan hat aus dem
Französischen, Rumänischen, Russischen, Portugiesischen, Italienischen,
Englischen und Hebräischen ins Deutsche übersetzt. Viele Schachmeister,
etwa Akiba Kiwelowicz Rubinstein, kamen aus dem kulturellen
Milieu des Thorastudiums; die Durchdeutung der Schrift gilt
als komplexe Schulung, denn "die Texte folgen nicht linear aufeinander,
sondern halten einander in Schach, so daß der Lesende zum Schachspieler
wird, der in ,heilig ernstem Spiel' die unzähligen Varianten
des Textes prüft und sie danach in Streitgesprächen mit anderen
erprobt; die Exegese selbst erscheint als kombinatorisches Spiel
mit Figuren aus Schriftzeichen." Auch Noam Chomsky beruft sich
darauf, daß sein Vater Hebräisch-Experte war, beschäftigt "mit
mittelalterlichen Grammatiktexten und mit der Geschichte der
Sprache". Dieser Einfluß und das Studium von Mathematik und
Logik waren Grundlagen für seine eigene "generative Grammatik".2
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Wortschatz |
153
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Schriftzeichen |
153
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Stellenwert |
153
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Ein in solchen,
also auch sprachlichen Zusammenhängen wirksam werdender Mythos
fundiert, so Jan Assmann, "keinen Zustand, sondern ein unabschließbares
Projekt: die Bändigung des Chaos und die Herstellung von Ordnung
durch Vereinigung". Obwohl die Vorstellung von Einheit immer
problematisch bleibt, mobilisiere der Mythos "die Energien,
derer es bedarf, um die Einheit herzustellen und die Welt in
Gang zu halten". Auf Israel bezogen war es der neue Zugang zum
Religiösen. "Wenn der Staat die große Errungenschaft Ägyptens,
so ist", nach dieser Darstellung, "die Religion die große Errungenschaft
Israels. Zwar gibt es Religionen natürlicher- und unausweichlicherweise
überall auf der Welt; aber sie sind dort ein Aspekt der Kultur,
mit der zusammen sie entstehen und untergehen. In Israel aber
wird Religion in einem ganz neuen, emphatischen Sinne geschaffen,
der sie von der allgemeineren Kultur unabhängig macht und ihr
Überdauern über alle kulturellen Wandlungen, Überfremdungen
und Assimilationen hinweg ermöglicht." "Religion wird zum Fundament
und Medium eines Widerstands gegen die Umwelt, deren kulturellen
und politischen Strukturen sie als eine autonome Sinnsphäre
gegenübersteht."3
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Vereinigung |
131
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Sternkunde |
131
|
Bauernkalender |
131
|
Gemeinsamkeit |
131 |
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Als Produkt
der Missionierung und des Kampfs um die Allgemeinverständlichkeit
der Bibel war die Entwicklung der europäischen Sprachen in Richtung
Schriftlichkeit und Standardisierung mit deren Originalsprache
zumindest indirekt verbunden. Zum Gewicht von Thora und Koran
ergeben sich schon daraus funktionelle Parallelen. Die Textauslegung
und die Präzision von Bibelübersetzungen sind immer wieder ein
Konfliktpunkte gewesen, bis hin zu den für die Moderne konstituierenden
Kriegen. Der Buchstabenbestand wird als absolut gegeben und
unveränderlich angesehen, was sich im Hebräischen auch in der
Schreibweise ausdrückt. Zahlen spielen, mit vielfältig verflochtenen
Symbolismen, eine große Rolle; wichtiger für die Auslegung blieben
immer die Buchstaben. Der in Europa zumindest bis ins Mittelalter
zurückreichende Brauch eßbarer Buchstaben hat, als Lernmethode
und Symbolhandlung, derartige sakrale Bezüge; daß die Einführung
in Schriftgeheimnisse Priestersache war und ausgewählten Erwachsenen
vorbehalten blieb, ist, abgesehen von einer "hellenistischen
Periode des freien Kinderunterrichts" und frühen jüdischen Unterrichtskonzepten,
offenbar für alle alten Schriftkulturen charakteristisch.4
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Buchstabenbestand |
160
|
Zwischenraum |
160
|
Verknüpfung |
160
|
Rechtschreibung |
160 |
Urteilskraft |
160 |
|
Damit hängt
zusammen, daß im Hebräischen und im Arabischen, Persischen oder
Türkischen komplexe, tendenziell mystische Interpretationssysteme
große Bedeutung erlangt haben. Am Umfeld der arabisch-persischen
Geheimlehren der Sufis etwa wird deutlich, wie solche das europäische
Mittelalter stark beeinflussende Konzeptionen, für die sich
"das Arabische wie ein Geheimcode verwenden" ließ, hätten wirksam
werden können, wenn die Kontinuität des Austauschs nicht immer
wieder unterbrochen worden wäre. Idries Shah betont, daß die
Theorien Sigmund Freuds oder C. G. Jungs Archetypenlehre von
Sufi-Meistern wie Scheich Ghasali oder Ibn El-Arabi vorweggenommen
worden sind; Sufis "akzeptierten die Atomtheorie und formulierten
eine Wissenschaft der Evolution gute sechshundert Jahre, bevor
Darwin lebte". Mit der Identität von Zeit und Raum hat sich
der Derwisch Hujwiri fast tausend Jahre vor Einstein befaßt.
Omar Khayyam entwickelte seine frühen Auffassungen von Absurdität,
Rumi ging davon aus, daß "Organe entstehen, wenn die Entwicklung
sie notwendig macht". Besonders wichtig wird "die Wissenschaft
vom Zustand" genommen. Eine solche klare Sicht verdeutliche
die wissenschaftliche Grundintention. Meditation, Einweihung,
aber auch komplizierte Geheimsprachen, in denen mit den Zahlenwerten
der Buchstaben operiert wird, sind Vorbereitungen. Sufismus
sei "praktisches Handeln. Er leugnet die Möglichkeit, durch
den formalen Verstand zur Wahrheit zu gelangen." Durch konstante
Zahlenwerte sind numerische Methoden auch im Persischen (in
Farsi), in Urdu oder anderen benachbarten Sprachen anwendbar.
In der Literatur ist das besonders wirksam geblieben; ein Chiffrieren
und Dechiffrieren, den Doppelsinn, den vieldeutigen Sinn zu
suchen, den Witz an der Sache, ist beim Lesen und Schreiben
vielfach weiterhin "eine Selbstverständlichkeit".5
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die Wissenschaft vom Zustand |
319
|
Addition von Zwischensummen |
319
|
Entschlüsselungsversuch |
319
|
Zustand |
105
|
Ähnlichkeit |
105
|
Mysterium |
143
|
Spekulation |
143
|
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Die Distanz
des "Europäischen" zum Arabischen, Persischen oder Türkischen
macht solche Traditionen und Informationen schwer zugänglich,
sogar wenn sie im Alltagsleben weit verbreitet sind und hochkomplexe
Beispiele für ein Verstehen, für eine semantische oder linguistische
Erforschung von Codierungen liefern könnten. Primär wird die
Statik, das Mysteriöse und Ornamentale gesehen. In Geheimhaltung,
so ein kompetent wirkender Kommentar dazu, sei die osmanische
Bürokratie zu Spitzenleistungen fähig gewesen, denn "bei den
Türken wurde die Kryptographie mit besonderer Vorliebe gepflegt.
Die mathematischen, medizinischen und okkultischen Handschriften
der Osmanen wimmeln nur so von geheimen Alphabeten und Ziffernsystemen."6
Der nach Westen gewendete Blick hat so etwas zu Vergangenem
erklärt. Es kann sich nur um ein historisches Beispiel handeln,
wenn von einem Europäer gesagt wird, er "beherrschte die arabische
Sprache vollkommen, kannte die arabischen Dichter, und seine
erstaunliche Kenntnis der Philosophie und Logik, der Mathematik
und Arzneikunde wie jeder anderen Disziplin wußte er durch seine
Schulung in der arabischen Dialektik jederzeit in das bei den
Orientalen so sehr geschätzte philosophische Gespräch umzusetzen".
Ernst Kantorowicz, von dem diese Einschätzung Friedrichs ii.
stammt, hält auch fest, daß jener der erste und einzige mittelalterliche
Machthaber gewesen sei, "der den Orient ganz unmittelbar aufnahm";
für keinen anderen habe man dort soviel Teilnahme gezeigt. Der
Respekt gründete sich auch darin, daß er "mit den Gelehrten
von Ägypten und Syrien, Irak, Arabien und Yemen wie mit denen
Marokkos und Spaniens in gelehrtem Briefwechsel stand". Unter
den neun Sprachen, in denen er sich verständigen konnte, war
wahrscheinlich auch Hebräisch. Gesichert ist, daß er mit jüdischer
Philosophie, insbesondere der des Maimonides, durch Gelehrte
aus Spanien und der Provence gut vertraut war und er bei den
Juden in hohem Ansehen stand. Daß er zugleich "der intoleranteste
Kaiser" war, völlig fixiert auf die "Ordnung im Staat", scharf
gegen Ketzer vorgehend, gegen Andersgläubige, etwa durch die
Massendeportation von Sarazenen oder durch Kleidervorschriften
für Juden, relativiert verbreitete Idealisierungen. Parallel
zu den explizit wissenschaftlichen Interessen sind durch diese
weitgefächerten Kontakte auch Geheimwissenschaften, Zahlenmystik
und "die ganze mittelmeerische Spukwelt", so Kantorowicz, neu
belebt worden.7
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Bezogen
auf die Zahlenwerte von Buchstaben und daran anknüpfende Traditionen
der Auslegung ist signifikant, daß es im Griechischen, Hebräischen
und Arabischen im Prinzip die gleichen Zählweisen gibt, trotz
der unterschiedlichen Zeichen und unterschiedlichen Namen für
sie. Von eins bis zehn entsprechen die Zahlen dem Stellenwert
jedes Buchstabens im Alphabet. Anschließend gibt es einen Wechsel
zu Zehnersprüngen und ab hundert zu Hundertersprüngen. Grundsätzlich
steht jeder Buchstabe für eine Zahl. In einer Gegenüberstellung
der drei Systeme werden diese Beziehungen deutlich. Dabei wird
Georges Ifrah gefolgt (Universalgeschichte der Zahlen) und Friedrich
Weinreb (Buchstaben des Lebens. Das hebräische Alphabet); die
im Griechischen enthaltenen Buchstaben Diagramma, Koppa und
San wurden später ungebräuchlich. Um dazwischenliegende oder
höhere Zahlen darzustellen, wurde einfach addiert.8 Wird ein
Buchstabe als Zahl verwendet, so ist dies im Griechischen in
der Regel bloß an einem waagrechten Strich und im Hebräischen
an einem kleinen Akzent erkennbar. Auf das lateinische Alphabet
sind solche Zahlenwerte erst von Mystikern des Mittelalters
übertragen worden. Besonders in jüdischen und islamischen Traditionen
werden die Zahlenwerte der Buchstaben und Wörter als System
göttlicher Regelungen und Hinweise aufgefaßt. Als "kabbalistisch"
gelten diverse solcher Methoden; sie zu systematisieren würde
tief in esoterische Bereiche hineinführen, die hier nicht das
Thema sind. Zu betonen ist, daß im Zuge dieser Neuaufnahme von
Wortberechnungen der üblichen Zahlenfolge, entsprechend dem
Stellenwert im Alphabet, gefolgt wird. Eine Übernahme traditioneller,
besonders im Hebräischen und Arabischen religiös motivierter
Zahlenwerte verbietet sich auch aus Achtung zugehöriger Glaubensvorstellungen.
Ein kursorischer Einblick in solche Verfahren kann nur methodische
Zusammenhänge andeuten; die Symbolwelten sind zu komplex und
unterschiedlich, um in knapper Form behandelt werden zu können.
In diesem Sinn sind auch die vermerkten, numerisch begründeten
Entsprechungen über Sprachgrenzen hinweg bloße Demonstrationen
erzeugbarer Assoziationsimpulse.
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In der Regel
wird davon ausgegangen, daß die arabische Schrift über Petra
vermittelt wurde, aber auch südarabische Vorläufer hatte, während
die althebräische Schrift, in der die ältesten Bibeltexte verfaßt
sind, nach der phönizischen, aber im wesentlichen unabhängig
von ihr entstanden ist. Nach der Rückkehr aus Babylon ist sie
durch die aramäisch geprägte hebräische Quadratschrift abgelöst
worden. Unabhängig von solchen Übernahmetheorien wird von islamischer
Seite betont, daß die arabische Sprache "philologisch um Jahrtausende
älter als das Hebräische" ist und "die hebräische Grammatik
auf einer Analyse des Arabischen" beruht.9 Unbestreitbar ist,
daß sich im System und in den Auslegungstraditionen viele in
anderen Sprachen nicht existierende Parallelen erhalten haben.
Daß der Islam als modernste, weil jüngste der monotheistischen
Religionen aufgefaßt wird, bildet einen signifikanten Kontrapunkt
dazu.
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Wie die
arabischen sind auch die hebräischen Buchstaben primär Konsonanten,
also Mitlaute, gebildet durch Lippen, Zunge, Zähne, Gaumen.
Friedrich Weinreb erläutert diese von eigenen Gewohnheiten abweichenden
Zusammenhänge so: "Die Konsonanten sind das, was in Erscheinung
tritt, wie der Körper, wie die Materie; die Vokale betrachtet
man als Ausdruck des Geistes, und der Geist kann und soll sich
nicht materiell manifestieren." Sie repräsentieren das Gesetz.
Laut und Sinn ergibt erst die Verbindung mit ungeschrieben bleibenden
Vokalen. Ihre bestimmte Reihenfolge und die überlieferte Doppelbedeutung
machen sie zu Zahlen. Nach jüdischer Tradition ergeben sich
daraus uferlose, von Gelehrtenwissen abhängige Auslegungen.
"Die Buchstaben sind im Jenseits Zahlen", heißt eine solche
Version, "dort aber sind die Zahlen, diese kalten irdischen
Proportionen, Gefühle, Qualitäten." "Weil die Zahlen im Jenseitigen,
und allein dort, exakt anwesend sind, weil die Zahlen durch
ihren Qualitätswert die jenseitige Anwesenheit der Buchstaben
sind, die diesseits zu Konsonanten werden, quantitativ meßbar
und feststellbar, deshalb können wir erzählen. Die exakte Zahl
jenseits ermöglicht uns, im Diesseits zu erzählen. (Der Zusammenhang
von Zahl und erzählen existiert - wie im Hebräischen - in vielen
Sprachen.) Hier, im Zeit-Räumlichen, sind jene Zahlen die Buchstaben.
Und diese Buchstaben kommen in jeder Sprache vor. Mit ihnen
kann man alle Geschichten der Welt aus allen Zeiten in allen
Sprachen erzählen. Ohne Ende." "Man füge die Konsonanten so
oder so zusammen, und alle Mitlaute entstehen. Zählen im Exakten
- Absoluten - ergibt die Unendlichkeit des Erzählens im Zeit-Räumlichen,
im Relativen."10
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Konsonant |
123
|
Schlüssel |
123
|
Partitur |
123
|
Vokal |
61
|
Figur |
61
|
Spiel |
61
|
Unendlichkeit |
135
|
Vergangenheit |
135
|
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Die Zahlensymbolik
selbst folgt vielfach einer eigenen, traditionsbestimmten Logik;
so hat der Baum des Lebens den Buchstabenwert 233, der Baum
der Erkenntnis, mit dem er ursprünglich eine Wurzel hatte, den
Buchstabenwert 932, das Vierfache davon. Das Verhältnis eins
zu vier (der Daumen und die vier Finger) kommt häufig vor, oder
auch drei (das Männliche) und vier (das Weibliche) oder 40 Tage,
40 Jahre, als Zeichen der Zeit, was nichts anderes heißt, als
daß es "jenseits, im Absoluten, im ,Nichts', Zeit tatsächlich
gibt, als Qualität natürlich". Das Zeichen Mem (Wasser, 40)
zum Beispiel wird auch als Zusammensetzung des Kaf (Hand, 20)
und des Waw (Haken, 6) gesehen und ergibt dadurch 26, "die Jenseits-Zahl",
die, wie schon betont wurde, dem Namen Gottes entspricht: Jod-He-Waw-He
(10 + 5 + 6 + 5 = 26). Im lebensnotwendigen Wasser, auch Sinnbild
von Zeit, ist demnach das Zeichen für Verbindung (der Haken),
das auch dem Wort "und" entspricht, sowie das Zeichen für Hand,
für die Bereitschaft zum Zugreifen und Begreifen enthalten.
Waw, das sechste Zeichen, steht auch für Herz, für den Menschen,
der am 6. Tag der Schöpfung seinen Ort erhält. In dieser Kombination
entsteht so "der Mensch in seiner Idealform, als Waw, als Verbindung
zwischen Himmel und Erde, und die ergreifende, handelnde Hand.
Sein Tun! Sein Sich-bewegen durch Zeit und Raum." "Das ist das
Geheimnis des Wassers, das Geheimnis der Zeit", sagt einer der
Interpreten dazu, dem "das Leugnen von Beziehungen ohne Absicht"
als die Versuchung schlechthin erscheint.11
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Absicht |
62
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Gott |
62
|
Orakel |
62
|
|
Im Hebräischen
werden unterschiedliche Berechnungen und Zahlenwerte verwendet,
für den "äußeren Wert", den "vollen Wert" und den "verborgenen
Wert" eines Buchstabens beziehungsweise Wortes. Der erste Buchstabe
eines Buchstabennamens ergibt dessen äußeren Wert. Alle Buchstaben
eines Buchstabennamens und die Summe aller Buchstabenwerte eines
Wortes ergeben den vollen Wert. Der Unterschied zwischen äußerem
und vollem Wert ist der verborgene Wert. Orientiert ist dies
an einem Erkennen von Einheiten und Einheit. "Im Sehen vereint
der Mensch die Vielheit des Gesehenen. Er möchte in seiner Sicht
alles zusammenfassen", heißt es dazu, nur läßt sich eben sehr
schwer unterscheiden, "ob man das Ganze sieht oder nur das Äußere".
Die Zahlenwerte hebräischer Buchstaben umfassen alle Ziffern
von eins bis neun, die Zehnersprünge von zehn bis neunzig und
die Hundertersprünge von 100 bis 400. Das genügt, denn die Summe
von 100, 200, 300 und 400 ist 1000. Für 500 und weiter gibt
es keine Zeichen, "dort ist die Welt des Schweigens". Schon
die Zahl 500 ist jenseitig, sie bezeichnet die Distanz von der
Erde zum Himmel, sie bedeutet das Wiedererreichen des Paradieses,
sie ist die Zahl des Himmels. Die 22 Buchstaben selbst werden
in drei Ur-Zeichen - Aleph (1), Mem (40), Schin (300) - und
in sieben doppelte (mit Bezug zur Woche) und zwölf einfache
(mit Bezug zu den Monaten) unterteilt. "Die Welt und das Leben
sind mit diesem Muster der drei Mutter-Buchstaben gebaut. Sie
sind ascham: schuldig und auch wieder nicht."12
|
Einheit |
89
|
Vergleich |
89
|
Wissen |
89
|
|
Ausgangspunkt für alle hebräischen Buchstaben ist die Form
des Tropfens; ihr Anfang, die Träne, der Blutstropfen, der
Samentropfen. Im Aleph werden zwei solcher Tropfen durch ein
Und-Zeichen verbunden; dieses erste Zeichen wird gesehen,
gelesen, aber nicht gesprochen. "Ist das nicht auch grundlegend
für unsere Welt?" lautet eine Interpretation. "Man kann das
Prinzipielle gar nicht aussprechen. Aber man sieht es und
muß es dort, wo unser Leben von uns gelesen wird, miteinbeziehen."
Adam wird hebräisch a-d-m geschrieben, wobei a hier der stumme
Konsonant Aleph ist, nicht der Vokal a, der zwar zu sprechen
ist, aber nicht geschrieben wird. Adam ist der Mensch, der
"Ich gleiche" genannt wird, das Zeichen Aleph wiederum bedeutet
"Haupt", das Haupt des Stieres, mit dem die Welt anfängt.
Adam enthält aber auch den Begriff "Ich schweige, ich bin
still".13 Das hebräische Wort für "Auge" steht auch für "nichts",
'ajin, und hat dieselben Konsonanten wie 'ani, "ich"; in mystischer
Interpretation wird daraus das "Ich" Gottes, die höchste Stufe
möglicher Offenbarung.14 Emmanuel Lévinas sagt in diesem Sinn
kategorisch: "Alle Künste, auch die akustischen, produzieren
Schweigen." Die Universalität der Kunst führt er auf den Vorrang
des Sehens zurück.15
Im hebräischen Text der Thora - dem Gesetz - sind die einzelnen
Bücher nach ihren Anfangsworten benannt. Die Bezeichnungen
Genesis, Exodus, Leviticus, Numeri, Deuteronomium stammen
erst aus der griechischen Übersetzung. Der erste Vers der
Thora heißt: Bereschith bara 'Elohim, "Am Anfang schuf Gott".
Der erste Buchstabe der Thora ist also Beth, er bedeutet "Haus"
und "zwei". In Bethlehem ist er enthalten. Das Haus ist auch
ein Bild für die Frau. Sein Zahlenwert wird ferner als Ausdruck
des doppelten Charakters der Schöpfung verstanden, durch die
eine obere und eine untere Welt entstanden ist; in der einen
herrscht "die dynamische Einheit Gottes", die andere ist die
"Welt der Trennung". Bekräftigung finden solche Bilder, weil
Beth der erste auszusprechende Buchstabe des hebräischen Alphabets
ist.16 Im Griechischen wiederum wird mit einer der heiligsten
Stätten eine andere Symbolik verbunden; Delphi ist die Bezeichnung
des weiblichen Geschlechtsorgans.17
|
Gleichung |
86
|
Gleichheit |
86
|
|
Die im Islam
entwickelte Sprach- und Schriftdifferenzierung ist ebenfalls
so komplex, daß es unmöglich ist, "alle von den Sufis benutzten
Formen der geheimen Sprache aufzuzählen". Auch ihnen geht es
im Prinzip um "eine direkte Verbindung zu letzter Erkenntnis",
"nicht um eine Kombination einzelner Tatsachen". Die Gleichsetzung
von Zahlen und Buchstaben, deren bis zu vier Formen von ihrer
Position im Wort abhängen, ist im Alphabetsystem vorgegeben.
Idries Shah bringt dafür ein Beispiel: "Das arabische Wort für
Mathematiker, Architekt ist muhandis. Es besteht aus den Buchstaben
m, h, n, d, s, welche den Ziffern 40, 5, 50, 4, 60 entsprechen.
Diese ergeben die Summe 159. In Hunderter, Zehner und Einer
aufgesplittert erhalten wir: 100 = q, 50 = n, 9 = t. Die drei
Konsonanten in der Reihenfolge 2, 1, 3 angeordnet, ergeben das
Radikal nqt." nqt heißt "Punkt", manchmal auch "Abkürzung",
und ist bei den Sufis von großer Bedeutung zur Übermittlung
der Lehre; es wird als Chiffre für das Wort verwendet, aus dem
man es ableiten kann, für den "Ersten Baumeister". qn wiederum
heißt auf arabisch "tiefe Meditation", "ein Wort, das für den
Sufismus steht". Der verbleibende Buchstabe t steht für "innere
Erkenntnis".18
|
Erkenntnis |
129
|
Weltformel |
129
|
|
Daß im Deutschen
trotz völlig anderer Schreib- und Berechnungsweise der von Sufis
so wichtig genommene Punkt92 mit Vorbild92 und Quadrat92 korreliert,
mit Gesetz92 und Verbot92, ließe sich glaubwürdig in solche
mathematisch bestimmten Bedeutungsfindungen einordnen, noch
dazu, wo deutsch80 mit Theorie80 eine rechnerische Einheit bildet.
Auch im Englischen nimmt der point74 eine Schlüsselstellung
ein; als Kreuzungspunkt der vertikalen Wortreihe grammar71 -
world72 - number73 - point74 - nobody75 - example76 - research77
und der mit ihm gleichwertigen horizontalen Wortreihe melody74
- beauty74 - energy74. Daß außerdem point74 und English74 gleichwertig
sind, oder number73 und paradise73, verstärkt die Deutlichkeit
solcher Ergebnisse und zeigt zugleich erneut, wie oft Aufgefundenes
in solche nach ihrer Herstellungsart absichtslose Ordnungen
paßt. Das hebräische Jod übrigens, ein Punkt mit einem Häkchen,
"das zehnte, das kleinste, fast unsichtbare Zeichen", gilt als
Anfang jedes Buchstabens, als Ausgangspunkt der Schrift, als
Urpunkt.19
|
Anfang |
43
|
Lachen |
43
|
Aufgabe |
43 |
Plan |
43 |
|
Vladimir
Nabokov wiederum ist auf eine eigene Art von Punkt gestoßen;
angeregt von der Arbeit mit dem Mikroskop und mit Diapositiven,
kommt er zur Feststellung: "In den Größenverhältnissen der Welt,
so scheint es mir, gibt es einen feinen Punkt, wo sich Phantasie
und Wissen treffen, einen Punkt, den man erreicht, wenn man
Großes verkleinert und Kleines vergrößert, und der seinem Wesen
nach künstlerisch ist." Außerdem sei die Aussage plausibel,
"daß der Wissenschaftler alles, was geschieht, in einem Punkt
des Raumes sieht, der Dichter aber alles in einem Punkt der
Zeit fühlt".20 Veränderte Maßstäbe verändern den Blick. Dem
entzieht sich der Punkt als bloß gedachte Größe. Trotzdem kulminieren
oder explodieren die Dinge an manchen Punkten. Sogar bei berechneten
Wortrelationen machen sie sich bemerkbar, anziehend, abstoßend,
als Orte, die sich vom Umfeld unterscheiden, die im Rhythmus
von Abfolgen eine spezielle Position bezeichnen.
|
Punkt |
82
|
Gesetz |
82
|
Ausnahme |
82 |
Dialektik |
82 |
|
|
|
Sekunde 79 |
|
|
|
|
Theorie 80 |
|
|
|
|
Buchstabe 81 |
|
|
Vorbild 82 |
Quadrat 82 |
Punkt 82 |
Gesetz 82 |
Verbot 82 |
|
|
Schrift 83 |
|
|
|
|
Bewegung 84 |
|
|
|
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Weltall 85 |
|
|
|
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|
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grammar 71 |
|
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|
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world 72 |
|
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number 73 |
|
|
melody 74 |
beauty 74 |
point 74 |
energy 74 |
English 74 |
|
|
nobody 75 |
|
|
|
|
example 76 |
|
|
|
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research 77 |
|
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|
Arabische und jüdische Sufis, von denen vielfach als loser
Einheit die Rede ist, wobei auch die geistige Verwandtschaft
mit Dante, Franz von Assisi oder dem Derwisch-Orden, mit Rosenkreuzern
und Freimaurern betont wird, könnten an solchen Wortberechnungen
höchstens die methodische Übung und das Aufdecken verborgener
Beziehungen anerkennen, es sei denn, es würde tatsächlich
"eine direkte Verbindung zu letzter Erkenntnis" gesucht.21
Daß das Alphabet darauf selbst eine Antwort geben kann, indem
Erkenntnis129 mit Experiment129, mit Beharrlichkeit129 und
Automation129 zusammentrifft und von Häßlichkeit129 und Beschönigung129
bedroht wird, kann auch als Entlastung von solchen absoluten
Ansprüchen verstanden werden. Die Buchstaben zeigen, unter
Rückgriff auf rechnerische - vielfach als "orientalisch" diskriminierte
- Verfahren, was sie selbst sichtbarmachen können.
Auf den von Europa ausgehenden "Orientalismus" bezogen, der
sich "systematisch als Aneignung von orientalischem Material
und einer regulierten Verteilung in einer Form von spezialisiertem
Wissen" organisiert hat, mit dem Blick auf Fremdes, bewundernd,
stilisierend und ausgrenzend, betont Edward W. Said, daß dieser
Zugang nur Bedeutung haben könne, wenn zugleich "eine Erinnerung
an die verführerische Degradierung des Wissens" dargestellt
wird. Denn "der Orient war fast eine europäische Erfindung,
und er war seit der Antike ein Ort der Romantik, des exotischen
Wesens, der besitzergreifenden Erinnerungen und Landschaften,
bemerkenswerten Erfahrungen. Nun verschwand er, irgendwie
war seine Zeit vorüber."22 Anders über solche Zusammenhänge
zu denken, ohne Mißbrauch des Fremden zu stilisierter Selbstreflexion,
entmystifizierend, also mythen-analytisch, hieße also auch,
gegenseitig wirksame Beziehungsnetze entsprechend zu beachten,
gedanklich, auf die Gegenwart bezogen und ohne Einheitlichkeit
zu unterstellen. Das eben verwendete entsprechend131 weist,
als Schlüsselwort für Codebeziehungen, in eine mögliche Richtung,
denn es ist gleichwertig mit dem Begriff Linguistik131.
|
arabisch |
61
|
einsam |
61
|
anders |
61 |
weise |
61 |
hebräisch |
78
|
jüdisch |
79
|
deutsch |
80 |
Erkenntnis |
129
|
Experiment |
129
|
Beharrlichkeit |
129 |
Automation |
129 |
Häßlichkeit |
129 |
Beschönigung |
129 |
|
Im Hebräischen
ist der erste Buchstabe der stumme Konsonant Aleph, der für
das Prinzipielle steht, das sich nicht aussprechen läßt, für
den Anfang der Welt, für das Ich Gottes, für das Nichts. Das
arabische oder persische Alif ist der "göttliche Buchstabe"
schlechthin. Der Zahlenwert 1 steht für Einheit und Einzigkeit,
für Transzendenz. Sein ausgeschriebener Name Alif ergibt 111
(a =1, l =30, f =80), was wiederum komplexe Deutungen ermöglicht.
Der zweite Buchstabe im Alphabet, das b, symbolisiert die geschaffene
Welt, den Schöpfungsakt. Der Koran beginnt mit ihm, mit der
Formel basmala, dem "Im Namen Gottes", und er endet mit dem
s, das auf Persisch bas, "genug", bedeutet, also sonst nichts
mehr gesagt werden muß. Auch die Symbole türkischer Kultur,
Tulpe (lale) und Halbmond (hilal), werden auf "buchstäbliche"
Bedeutungen zurückgeführt; sie bestehen aus den gleichen Buchstaben
wie Allah (ein alif, zwei lam und ein h) und haben daher auch
den gleichen Zahlenwert wie der Name Gottes, nämlich 66.23
|
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Bei der - nach den Konventionen vermutlich unzulässigen -
Übertragung in andere Sprachen ergibt sich im Deutschen für
diesen Wert Vater66 und im Englischen woman66.
|
|
- Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge
(1966). 1974. S. 67f.
- Margaret Wertheim: Pythagoras' Trousers.
God, Physics, and the Gender Wars. 1996. S. 121
John Felstiner: Paul Celan. Eine Biographie (1995). 1997.
S. 179, 261
Ernst Strouhal: acht x acht. Zur Kunst des Schachspiels.
1996. S. 1ff., 9
Noam Chomsky: Sprache und Geist (1968). 1996. S. 187
- Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis.
1992. S. 168, 196
- Franz Dornseiff: Das Alphabet in Mystik
und Magie (1925). 1975. S. 17, 18
- Idries Shah: Die Sufis (1964). 1976.
S. 23, 53f., 51, 39, 22, 55, 229
- Georges Ifrah: Universalgeschichte der
Zahlen. 1986. S. 326
- Ernst Kantorowicz: Kaiser Friedrich der
Zweite (1927). 1973. S. 170, 181, 317, 247, 244f., 328
- Georges Ifrah: Universalgeschichte der
Zahlen (1981). 1986. S. 289, 311, 349 Friedrich Weinreb:
Buchstaben des Lebens. Das hebräische Alphabet. 1990. S.
5ff.
- Idries Shah: Die Sufis (1964). 1976.
S. 156, 297
- Friedrich Weinreb: Buchstaben des Lebens.
Das hebräische Alphabet. 1990. S. 23, 98f.1
Ebda., S. 103, 108ff., 42, 119
- Ebda., S. 123, 121, 124, 141, 151, 158,
161
- Ebda., S. 30, 32, 17, 21
- Gershom Scholem: Die jüdische Mystik
in ihren Hauptströmungen (1941). 1967. S. 237
- Emmanuel Lévinas: Eigennamen. Meditationen
über Sprache und Literatur. 1988. S. 89
- Gershom Scholem: Die jüdische Mystik
in ihren Hauptströmungen (1941). 1967. S. 241, 242
- Mircea Eliade: Schmiede und Alchemisten.
1980. S. 21
- Idries Shah: Die Sufis (1964). 1976.
S. 155, 9, 302
- Friedrich Weinreb: Buchstaben des Lebens.
Das hebräische Alphabet. 1990. S. 93
- Vladimir Nabokov: Erinnerung, sprich
(1966). 1991. S. 226, 294
- Idries Shah: Die Sufis (1964). 1976.
S. 211
- Edward W. Said: Orientalismus. 1981.
S. 189, 371, 8
- Annemarie Schimmel: Mystische Dimensionen
des Islam. 1979. S. 471ff., 478
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Christian Reder 2000/2002 |
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